
Wie die Zeit rennt!
Das große Freiluftfinale im Inneren der Festung Mark.
Prolog
Eigentlich sollte Sommer sein. Eigentlich. Stattdessen erleben wir in der Mitte des Jahres 2011 einen April 2.0. Noch unberechenbarer, noch launischer und dem Gefühl nach gerade an den Wochenenden nahezu mürrisch. Rekordverdächtige Temperaturstürze: Vom Backofen direkt ins kalte Wasserfass. So auch am Veranstaltungswochenende. Nächtliches Freiluftfeiern in Pfützen bei weit unter 20°C? Da käme wenig Freude auf. Der Umzug in das traditionelle Bollwerk gegen schlechtes Wetter, die Festung Mark, erfolgte sicher schweren Herzens.
Eigentlich sollte die Veranstaltung dem alten Kavalier Scharnhorst nach fünf Jahren elektronisch-tänzelnder Freude mit Freunden einen würdigen Abschied bereiten. Denn: Der fortschreitende Umbau des angrenzenden Elbebahnhofgeländes zum hippen Stadtvillenviertel, macht es unwahrscheinlich, dass das preußische Artilleriewerk im nächsten Jahr noch für nächtliche Freiluftveranstaltungen genutzt werden kann. Yuppies, Neureiche und die, die sich dafür halten, mögen Krach – nur nicht ihrer Nähe. Empirische Wahrheit. Obendrein gibt’s eine Juristische und die sieht in Wohngebieten Lärmobergrenzen vor. Um die neuen Anwohner nicht um ihren wohlverdienten Nachtschlaf zu bringen, müsste man flüsterleise feiern. Ob das Freude bereiten würde?
Nun genug des sentimentalen Vorgeplänkels und hinein ins lustige Getümmel. Denn der Feier tat die Hintergrundgeschichte, keinerlei Abbruch. „Die Zeit rennt“ und das Wochenende ist kurz.
Bebende Festungsmauern
Die Pforten der Festung Mark wurden gegen 22:00 Uhr geöffnet. Die musikalische Einstimmung übernahm der Kunstkantine-Resident Lorenz Kraach. Leider waren meine Ankunftszeit und das Ende seines Sets fast deckungsgleich. Somit begann für mich der Einstieg in den Abend mit Alex Schuster und einer äußerst bewegenden Housemischung, die auch Ausflüge in Discogefilde nicht scheute. Die zahlreicher werdende Gästeschar dankte ausgelassen tanzend. Gegen zwei erreichte sie dann das erste fulminante Finale.
Kurze Unterbrechung. „One, two … Guten Abend Magdeburg!“ Mit diesen Worten begann die Wahlkölnerin Michaela Dippel, Tanzmusikliebhabern besser bekannt als Ada, ihren einstündigen Liveauftritt. Songwriting trifft elektronische Tanzmusik - Pop trifft Techno. Dass der Gesang live beigesteuert wird, versteht sich von selbst. Ihre Musik hat eine leichte melodiöse belebende Art, in die man sich allzu gern verliebt. Ob das das Geheimnis ihres Erfolges ist? Wer noch nicht reingehört hat, dem sei ihr kürzlich beim Label Pampa Records erschienenes Album „Meine zarten Pfoten“ wärmstens empfohlen.
Um drei war der Melodienzauber vorbei und es ging zusammen mit dem schwedischen Produzenten Patrik Skoog als „Agaric“ tiefer in die Technogefilde. Wer auf über 100 Vinylveröffentlichungen zurückblicken kann, darf ruhig als Veteran bezeichnet werden. In den 90er und frühen 00er Jahren stand er hinter dem Hardtechnoprojekt „Headroom“. Seit 2005 lebt er mit „Agaric“ seine deepere Seite aus und veröffentlichte auf Labels wie Adam Beyer‘s Drumcode, Raum Musik, Nummer und Liebe*Detail. Große Beachtung fand auch die Club Tracks 10” series auf seiner eigenen Plattform „We Are label“. Gute Musikproduktionen sind das eine, ein Publikum als DJ mitreißen zu können ist das andere. Es gibt Wenige die beides sehr gut beherrschen. Magdeburg konnte sich definitiv davon überzeugen, dass Agaric zu den Wenigen gehört. Ein tolles Set, das die Zeit wie im Fluge vergehen ließ.
Viertel sechs übergab Patrik das Zepter an die noch junge Klub Elektrik Kollaboration „Moonstruck“. Hinter den vieldeutigen Namen verbergen sich die alten Hasen Steffen Felscher und The Mony, die momentan gemeinsam die Hauptstadt aufmischen. Ob sich ihr Name als Dou von der Komödie mit Cher und Nicolas Cage ableitet, habe ich noch nicht in Erfahrung gebracht. Aber das wird nachgeholt. Die Musik jedenfalls blieb technoid und sehr bewegend. Heimspielvorteil genutzt! Gegen 6 waren meine Beine restlos taub und verlangten nach Ruhe. Chillout oder Heimweg? Ich entschloss mich für letzteres. Immerhin wollte ich am Nachmittag – gutes Wetter vorausgesetzt – der Freiluft-Afterhour am Kavalier Scharnhorst einen Besuch abstatten.
Folgeerscheinung
Petrus war gnädig und ließ die Himmelspforten geschlossen. Zwar kein Hochsommerwetter aber immerhin kein Regen. Auf dem Innenhof des Kavaliers hatte sich eine illustre, gemütliche Runde aus Übriggebliebenen und Neuankömmlingen versammelt, um gemeinsam den Sonntagnachmittag zu verbringen. Auf den Wiesen- und Sandflächen wurden Decken ausgebreitet, geplaudert, gechillt, getrunken und vereinzelt getanzt. Für die musikalische Untermalung sorgten während meiner AnwesenheitR2D2. Hinter dem aus Starwars bekannten Kürzel verbergen sich übrigens der Berliner Red Robin und der aus Bogota stammende David Delgado. Zugegebener Maßen wurde mir wieder bewusst, warum man vor einer Afterhour besser nicht schlafen sollte. Die Musik war sehr gut, doch zu mehr als mitwippen konnte ich mich nicht animieren. In den glücklichen Gesichtern der Anwesenden sah ich aber dennoch einen würdigen Abschluss für das alte Kavalier. Es bleibt die Hoffnung, dass es dort im nächsten Jahr wenigstens die eine oder andere Tagesveranstaltungen geben wird.
Zeitplan:
22:00 Uhr Lorenz Kraach
00:00 Uhr Alex Schuster
02:00 Uhr Ada -live-
03:00 Uhr Agaric
05:00 Uhr bis Schluss Moonstruck aka Steffen Felscher & The Mony
Klub Elektrik im Internet: http://www.facebook.com/klubelektrik
Für Nicht-Magdeburger, Hobby-Historiker und alle Interessierten
Kavalier I Scharnhorst
Das Kavalier I Scharnhorst ist eines der zahlreichen Überbleibsel der preußischen Festungsanlagen Magdeburgs. Die zweigeschossige kasemattierte Kaserne ist bogenförmig gebaut und liegt zum Schutze vertieft in einem Erdwall. Im Jahr 1873 zog das Fussartillerie-Regiment Encke in die Kaserne ein und sollte im Falle eines Angriffs die Südwestfront der Stadt mit ihren auf dem Wall installierten Geschützen verteidigen. Das Kavalier ist das einzige offensichtliche Überbleibsel des weitaus größeren Festungsabschnitts Scharnhorst. Im Ersten Weltkrieg hatte der Abschnitt übrigens einen sehr berühmten Bewohner. Der spätere französische Präsident Charles de Gaulle wurde dort zeitweise als Kriegsgefangener interniert. Durch die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg und den anschließenden Rück- bzw. Umbau zum Fotolabor des KONSUM Fotocolor ließ sich die einstige militärische Funktion des Komplexes lange Zeit nur noch erahnen. Mit der Schließung des Fotolabors nach der deutschen Wiedervereinigung verwaiste das Objekt und wurde sich selbst überlassen. Zu gewuchert, hinter hohen Bäumen und Gestrüpp versteckt und vergessen entstand ein Kleinod, das sich zum Partygeheimtipp mauserte. Wer Magdeburg nicht kennt, wird jetzt eventuell die Vorstellung haben, dass eine derartige Lokation weit abseits liegen dürfte. Falsch! Die alte Geschützstellung befindet sich direkt neben einer Elbebrücke in bester Zentrumslage.
Das ist auch der Grund für das langsame aber stetig fortschreitende Ende des urig überwucherten, Abgelegenheit vermittelnden Charakters. Derart kostbaren Boden einfach der Natur zu überlassen widerspricht der gängigen Praxis von Urbanität. Natur ja, aber geordnet. Allein es fehlte das Geld. Mit der Internationalen Bauausstellung 2010 kamen die Mittel. Die verschüttete Frontseite des Kavaliers wurde teilweise ausgegraben, daneben eine Allee gepflanzt und der Wildwuchs auf dessen Haupt beseitigt. Nebenbei wurde das angrenzende Areal des ebenso verwucherten ehemaligen Elbebahnhofs reaktiviert und zur Bebauung freigegeben. Das Kavalier wird auch das überstehen. Vielleicht erwartet ihn ja eine bessere sanierte Zukunft. Nur eines hat es verloren. Sein Recht, Krach machen zu dürfen.
Frühere Klub Elektrik Freiluftfeier im Kavalier u.a. mit Monkey Maffia, Redshape:
Video von 2009 mit Rundgang im Inneren: http://www.youtube.com/watch?v=j7V4NbTAd6A
Modell des Alten Kavaliers: http://www.youtube.com/watch?v=8GHFeV-WjQg
Festung Mark
Als die Preußen die Festung Mark als Defensionskaserne für 800 Soldaten an der Nordfront des inneren Verteidigungsringes der Stadt erbauten, hätten sie sich wohl nie träumen lassen, dass sich fast hundertfünfzig Jahre später daraus ein Bollwerk der Kultur entwickeln würde. Die Zwischenzeit war bewegt und ging nicht spurlos an dem Backsteingebäude vorbei. Militärische Nutzung, in den Goldenen Zwanzigern Umbau zum Arbeitsamt, im zweiten Weltkrieg Wohnstätte für 600 italienische Arbeitskräfte, Bombentreffer, Umgestaltung zur Bürstenfabrik und Korbflechterei, nach dem Zusammenbruch der DDR zahlreich gescheiterte Verkaufsversuche und schließlich 2001 die Entscheidung zur Umwandlung in eine Kulturfestung für Magdeburg. Im Sommer 2005 wurde die Bürgerstiftung “KulturStiftung FestungMark” als zukünftiger Träger der ehemaligen Kasernenanlage gegründet. Deutschlands Bürgerstiftung mit den meisten Gründungsstiftern ist seitdem bemüht der alten Kaserne wieder Leben einzuhauchen. Konzerte, Tagungen, Mittelalterspiele, Festivals, Studentenpartys und Raves im „Großen Saal“.
Der „Große Saal“ bietet mit seinen rauen Backsteinwänden, dem mächtigen elf Meter hohen Gewölbe und den massiven Bögen eine atemberaubende Kulisse, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Beim Umbau der Festung und dem Bau des Saales wurden die Zwischendecken der oberen Etagen entfernt, so dass man das Gefühl hat, in Mitten eines riesigen Rohbaus zu stehen. Vorsprünge wecken die Begierde klettern zu wollen. Türen und Fenster in luftiger Höhe regen die Phantasie an. Die Kulisse hat etwas Sakrales und erinnert auch von der Akustik her ein wenig an eine Kirche. Weitere Infos: http://www.festungmark.de/html/
Superflu @ Festung Mark:
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