Carpe Nostem 2
„Carpe Noctem“ (Genieße die Nacht) - so der klangvolle Titel der Veranstaltung. Auf insgesamt sechs Floors und mit über 50 Artists wurde seitens der Veranstalter ein Unterhaltungsprogramm aufgetischt, das schon an Völlerei erinnerte. Bei diesem Angebot vor die Qual der Wahl gestellt, galt es entweder zu selektieren oder im pausenlosen Umherwandern zwischen den Floors zu zappen. Ich entschied mich nach einer ausgiebigen Erkundungstour für die Selektion. So kann dieser Bericht auch nur einen Bruchteil der musikalischen Geschehnisse nachzeichnen.
Zur Lokation
Zuerst sollte man anmerken, dass es sich bei der Lokation um ein Industrieareal der neueren Bauart handelte, welches im ursprünglichen Zustand – die exponierte Lage auf einem Bergkamm einmal vorgelassen - keinerlei Charme versprüht. Hier Maßstäbe als Bewertungsgrundlage anzusetzen, die man sonst an einen Club anlegen würde, wäre sicher vermessen. Die eines Festivals sind da schon eher angebracht. Von dieser Warte aus betrachtet, ist es durchaus gelungen ein gutes, wenn auch nicht perfektes Ambiente zu schaffen.
So wurden die hohen Decken der Lagerhallen im Hauptgebäude mit Stoffbahnen und Fallschirmen abgehangen, die Wände mit allerlei Dekomaterialien und mit Video- oder Diaanimation verschönert und die Beleuchtung den dargebotenen Musikstilen angepasst. Im Gebäudeinnern fanden drei der sechs Floors, sowie eine Garderobe und der VIP-Bereich Platz. Das Zentrum bildete hier der Main-Floor (House, Tekhouse). In den Nebenräumen waren der Tekkno – und der Minimal Techno-Floor untergebracht. Die anderen drei Floors wurden auf der Außenfläche in gut dekorierten Bierzelten eingerichtet. Am gelungensten von allen Floors war nach meinem Geschmack der Neopangäa-Release-Floor. Etwa in der Größe eines Klassenzimmers versprühte er mit seiner liebevollen stimmigen Einrichtung und dem unmittelbaren Kontakt zu den Arists den meisten Charme.
Das was im Inneren gut gelungen ist, fehlte jedoch ein wenig im Außenbereich. Zwar waren Gestaltungsansätze vorhanden (u.a. Holzskulpturen, Projektion an Außenwand), allerdings hätte hier etwas „Mehr“ und „Bunter“ sicher gut getan.
Zur Party
Mein Schwesterchen hatte sich mal wieder dazu bereit erklärt, das Steuern des Gefährts zu übernehmen. Dafür an dieser Stelle herzlichen Dank! Etwas nach halb zehn gestartet, erreichten wir kurz vor halb elf sicher die Lokation. An der Drive-In-Kasse tauschten wir Bares in Eintrittsbändchen um und machten unsere erste Erfahrung mit dem miesepetrig gestimmten Sicherheitspersonal, aber dazu später mehr. Auto geparkt und los ging eine Erkundungstour inklusive der Sichtung der Runningorder. Hier wurde schnell klar, dass für meinen Musikgeschmack die Anordnung der Acts gut gelegt war.
Einstimmen ließ ich mich von Black P. Er versetzte mit einem abwechslungsreichen, von minimal über house bis hin zu techno und electro reichenden Set schnell das zahlreich anwesende Publikum in Tanzstimmung. Zu Hilfe kam ihm die gute Preispolitik (bis 23:00 Uhr 10 Euro, danach 15). Sie sorgte dafür, dass die Floors kurz nach elf gut gefüllt waren und so schon zeitig eine angenehme Stimmung aufkommen konnte. Die günstigen Getränkepreise taten ihr Übriges. Softdrinks und Wasser bekam man für nur einen Euro, die Flasche Bier für zwei. Nachdem wir von der ausgefallenen Plattenauswahl Black P.s angeheizt waren, übernahm Lars Christian Müller das Ruder. Das Fahrwasser wurde zunächst etwas ruhiger, um uns dann vollends zu erfassen. Wirklich ein gelungener Spannungsaufbau. Mit der aufgebauten Spannung begab ich mich gegen eins in den Minimalfloor, um dem Liveset von Marek Hemmann zu lauschen. Sein Set überraschte mich äußerst positiv. Es war sehr energetisch arrangiert und ließ mit seiner gewissen Tiefe die nächste Stunde wie im Fluge vergehen. Am Ende seines Auftritts bedankte sich das euphorisierte Publikum mit lautstarkem Applaus und begrüßte gleichzeitig den ersten Act der Mo´s ferry Crew: Marcel Knopf.
Mit ihm wandelte sich der Floor zum minimal – frickeligen Mo´s ferry showcase. Das Berliner Label war gleich mit vier Künstlern angetreten, um seinen speziellen Sound zu propagieren. Marcel begann sein Set ruhig und strikt minimal und wurde dann langsam immer deftiger. Natürlich wurden in dem Mix auch Veröffentlichungen des Labels bedacht. Hierbei zeigte sich schnell, dass ein großer Teil der Zuhörerschaft durchaus mit den Releases des Labels vertraut war und deswegen bewusst diesen Floor, vielleicht sogar die Veranstaltung besucht hatte.
Diese These ist natürlich gewagt, aber als aufmerksamer Zuhörer merkte man schnell, wie weit Einige mit Mo´s Ferry vertraut waren. Da sich die übrigen Mitglieder der Mo´s ferry Familie unter die Tanzenden gemischt hatten, bot das allerlei Gesprächsstoff. So waren die Fans sehr erfreut über die Nähe und das gemeinsame Feiern mit ihren musikalischen Helden und die Anwesenheit von Dapayks Ehefrau bot Grund für Spekulationen. Seit dem Release des neuen Dapayk & Padberg Albums „Black Beauty“ waren gerade einmal zwei Wochen vergangen und so drehte das Gerücht eines unangekündigten Auftritts des Duos seine Runden im Floor. Ebenso die Tanzenden im Reigen, denn Marcels Darbietung hatte mittlerweile fast den gesamten Tanzsaal in Bewegung versetzt.
Gegen vier Uhr erfolgte ebenfalls mit Applaus bedacht der Wechsel zu From Karaoke to Stardom. Leider konnte er mit seiner Live Performance zunächst nicht an Marcels vorgegebenen Level anknüpfen. Der Cut von energetisch treibend zu langsam und verträumt war etwas zu stark. Nach einer Konsolidierungsphase blieben überwiegend die Kenner. Diese wurden für ihre Geduld auch belohnt. Einmal von der Musik erfasst, war ein Entrinnen nicht mehr möglich. Stück für Stück wurden die Soundstrukturen verdichtet, bis sie in einem fulminanten Feuerwerk endeten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Tanzfläche wieder stark gefüllt. Was wohl einerseits an der Musik, zum Hauptteil wohl an dem darauf folgenden Auftritt Dapayks gelegen haben dürfte. Etwas nach fünf praktizierten die Tanzenden das liebgewonnene Ritual des Abends: Applaudieren. Mit einer Geste bedankte sich From Karaoke to Stardom und übergab das Zepter.
Nun konnten die Anhänger des Frickelsounds ihren Zeremonienmeister huldigen. Die Spekulanten unter ihnen hatten sich allerdings ein wenig verspekuliert. Eine Gesangseinlage von Eva Padberg gab es nicht. Dafür entschädigte aber die elektronische Darbietung des Protagonisten umso mehr. Bis ich etwas nach sechs erschöpft den Heimweg antrat, war die Stimmung famos.
Fazit
Retrospektiv bleibt ein geteiltes Bild von der Veranstaltung. Die Musik war nach meinem Geschmack überwiegend gut und das nicht nur im Minimal Techno-Floor. Die Umsetzung der Veranstaltung war dagegen eher mittelmäßig. Es fehlte an einem Chilloutbereich, der seinen Namen auch alle Ehre macht. Sowas gehört bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung einfach dazu. Die Deko war in Anbetracht der Gegebenheiten und den zu betreibenden Aufwand den Lagerhallencharakter zu verschleiern gut. Auch im Inneren der Zelte war schnell vergessen, dass man sich nicht in einem Club befindet. Ein Manko waren in manchen Floors die Musikanlagen. Hier hätte eventuell der eine oder andere Euro mehr investiert werden sollen. Angesichts des für die Größe der Veranstaltung niedrigen Eintritts lässt sich das aber verkraften.
Was dagegen gar nicht zu entschuldigen ist war die Unfreundlichkeit der Security. Solch grundlos grimmige Gestalten habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Lächeln tut nicht weh und kostet nichts. Wenn man schon drei Meter vor dem Eingang mit „Hey Bänder her!“ angeschrien wird, ist diese Feststellung keineswegs pedantisch. Einigen „Super-Underground-Club-Gängern“ ist, wie mir zu Ohren kam, das gemischte Publikum ein Dorn im Auge gewesen. Dem kann ich so nicht beipflichten. Klar hat die massive Werbung im Vorfeld auch Leute angezogen, die sonst lieber auf der Kirmes oder in der Disco zum „Knall roten Gummiboot“ abgehen, aber anders ist eine solche Veranstaltung nicht zu realisieren. Das müsste man als Szenespezialist und „Menschen-anhand-der-Kleidung-Beurteiler“ auch vorher wissen. Diese sollten bedenken das Offenheit auch eine Eigenschaft der elektronischen Musikkultur ist und schon immer war. Wer weiß, vielleicht hat die Veranstaltung dem ein oder anderen den musikalischen Horizont erweitert und er beschäftigt sich nun etwas intensiver mit der Musik. Nicht auszudenken, dass wohlmöglich diese Provinzialisten irgendwann in der Zukunft auch im „Super-Duper-Berliner-In-Club“ tanzen. Es lebe die Dekadenz!
Dank an die Veranstalter für ihre Mühen und die Musiker und DJs für die tolle Unterhaltung! Kritik ist als konstruktiv zu betrachten.
Lineup:
Mainfloor – House/ Tekhouse by RadioTop40
LIEBE IST COOL – LIVE (family affairs)
Brothers Incognito (Vinylstars Halle)
ZuHouse Rockers (zuHouse-Club)
DBN aka Patrick K & Tobias Hahn (ProgCity Records Hamburg)
Robert Felmer (La Rouge Kindelbrück/ Nachtschicht)
Spencer K. (Electric Noise Niedersachsen/ COM)
Sosua & Mad (Savoy Göttingen)
UK Bastard aka Roxfield (B52 Rec.)
Four Rooms (Hard and Smart/ Savoy Göttingen)
Electro
DJ Emerson (Kiddaz FM/ Micro.Fon Berlin)
Holgi Star (Kiddaz FM/ Playmate Music)
Dave Shokh (Kiddaz FM/ Playmate Music)
Lars Christian Müller (Whirlpool Sex)
Midilation (live + DJ Act Tobias Winkler)
Foss & Stoxx (Dusted Decks)
Black P. (WolkeZwo4/ COM Booking)
Pablo (The Barber)
Justin Cowley (STR-Crew)
Morris Dee (COM)
Sebastian Georgi (Spearstown)
Minimal Techno-Floor (Patrick Börsch Bday)
Dapayk live (Mo’s Ferry Prod./ FaT)
Marek Hemmann live (Freude am Tanzen)
From Karaoke to Stardom (Mo’s Ferry Prod./ Paris)
Chris Manura (Finest Selection/ COM)
Marcel Knopf (Mo’s Ferry Prod.)
Joern Kleinschmager (Mo’s Ferry Prod.)
Oliver Süssholz (Toxic Twins Production/ Re-ha)
Patrick Börsch (Raw Elements)
Stumm und Stuemmer (Underground)
Techno
Brachiale Musikgestalter live (Abstract)
Ivee live (Aggrodizko Belgrad)
Minupren (Aggrodizko)
Der Totmacher (Scattybrainz)
Talisman (Berlin)
Freak de Philipe & Duncan on 4Decks (4decks.de/ Hard and Smart)
An-Dreh live (Electric Noise Niedersachsen/ COM)
Jan II & E-Late (Spielstaub)
Neopangäa-Release-Floor
Live Visuals by Satanic Circus
Playin around the pot live! (Neopangäa/ COM)
Kathy Deluxe (anny jack rec. jena)
J:Man (Neopangäa/ COM)
Sorin Stanciu (Neopangäa/ COM)
j.m.P. (Neopangäa/ COM)
Ken Coonze (Neopangäa/ COM)
Markus Schäfer (Neopangäa/ COM)
Kilicious LIVE (Neopangäa/ COM)
Heiko TNT & Pfiff (MfS-Amt/ Bienstädter Warte)
Tobe (Beatrieb/ STR-Crew)
Classic House
Küche80 (Centrum Erfurt)
DUOTON (Houselovers)
Franky Cortez (Hard and Smart)
Andrew S. & Lines (COM)
Klit Heppens & Morgan Stander (COM)
Alexander Seelig (COM)
Chris da Silva (COM)
Danny Deluz (Underground)
Mat de Jong (COM)
Alexander Gerber (COM)
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