Dienstag, 30. August 2011

Morgens aufm Brötchen - Kavalier Scharnhorst Magdeburg (05.07.08)


Morgens auf´m Brötchen…

… Nutella und dazu passende Musik. Sommerzeit, das ist die Zeit für Festivals und ausschweifende Open-Airs. Tanzen an der frischen Luft im Grün oder Halbgrün. Da lacht das Herz und da kann es ruhig auch einmal etwas länger dauern. Klubelektrik nutze den 5. Juli um ausgiebig den ganzen Tag lang zu Raven. Vom Samstagmorgen bis in den frühen Sonntag hinein wurde der alte Kavalier Scharnhorst mit elektronischen Beats aus seinem Dornröschenschlaf gerissen und Varietee moderner Jugendkultur.


Der Kavalier I Scharnhorst ist einer der zahlreichen Überbleibsel der preußischen Festungsanlagen Magdeburgs. Die zweigeschossige kasemattierte Kaserne liegt vertieft an einem baumbewachsenen Erdwall und ist bogenförmig gebaut. Im Jahr 1873 zog das Fussartillerie-Regiment Encke in die Kaserne ein und sollte im Falle eines Angriffs die Südwestfront der Stadt mit ihren auf dem Wall installierten Kanonen verteidigen. Der Kavalier ist das einzige offensichtlich Überbleibsel des weit aus größeren Festungsabschnitts Scharnhorst. Im Ersten Weltkrieg hatten die Anlagen einen sehr berühmten Bewohner. Der spätere französisch Präsident Charles de Gaulle wurde dort zeitweise als Kriegsgefangener gehalten. Durch die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg und anschließenden Umbau zum Fotolabor des KONSUM Fotocolor lässt sich die einstige militärische Funktion des Komplexes heute nur noch erahnen. Seit der Schließung des Fotolabors nach der deutschen Wiedervereinigung steht das Objekt leer, verlassen und sich selbst überlassen. Wer Magdeburg nicht kennt, wird jetzt eventuell die Vorstellung haben, dass eine derartige Lokation weit abseits liegen dürfte. Falsch! Die alte Geschützstellung befindet sich direkt neben einer Elbebrücke in bester Zentrumslage und ist dennoch eine Art Geheimtipp. Selbst aus der Nähe sieht die Anlage noch wie ein bewaldeter Hügel aus. Nur dem, der zufällig den nordwestlichen Eingangsbereich passiert, offenbart sich das, was dahinter steckt. Am Samstag sogar etwas mehr als gewöhnlich.

Die Veranstalter machten aus dem sonst eher trist dreinblickenden Ort eine freundliche, lebendige Oase. Die Alten Backsteinwände (nachts beleuchtet) boten dem Szenario eine atemberaubende Kulisse. Neben die Außenbühne mit davorliegender Tanzfläche im Kern des Kavaliers gesellten sich einige Getränkewagen, ein Grillstand und zahlreiche Ruhezonen mit Strandflair (Sand und Strandliegen). Zudem wurde in einem Gewölbe der alten Kaserne ein wetterfester zweiter Floor eingerichtet. Petrus war dem Treiben zum Glück wohlgesonnen und so diente das Gewölbe nur der alternativen Musikbeschallung und nicht als Zufluchtsort.

Die Sause begann dem, eines Rüdiger Hoffmann Sketchs entlehnten, Veranstaltungstitel entsprechen morgens um zehn. Fleißige Hände schmierten am Vorabend passend zum Thema über 300 Nutella-Brötchen, die gegen einen kleinen Unkostenbeitrag an alle Frühaufsteher verteilt wurden. Hier sei gleich erwähnt, dass bis abends 21:00 Uhr der Eintritt zur Veranstaltung frei war. Frisch gestärkt konnten sich die Zeitigen nun einem Tanzmarathon hingeben und sich vom gemischten elektronischen Musikprogramm verzaubern lassen. Ich für meinen Teil hatte leider nicht soviel Zeit zur Verfügung und konnte erst abends gegen halb neun meinen Schreibtisch verlassen. Somit ist der Bericht nur ein kleiner Ausschnitt des ganzen. Als ich eintraf, herrschte noch eine entspannte Festivalatmosphäre. Morris & Plastiksoul spielten ein sommerliches Minimalset und streuten ab und zu ein Brise House dazwischen. Vor dem DJ-Pult tanzten etwa 50-80 Leute, die Ruhezonen waren gut besetzt, manche hatten Decken ausgebreitet und saßen gemütlich im Schatten. Alles sehr gediegen. Ich gesellte mich zu den Tanzenden, genoss das Ambiente und die Musik und schwebte entspannt in den Sonnenuntergang hinein. Parallel dazu füllte sich der Kavalier mit Menschen und mit Einbruch der Nacht verändert sich das Bild zu einer Massenveranstaltung. Um die Getränkewagen herum bildeten sich große Trauben, diese dehnten sich aus, bis fast der gesamte Platz mit Menschen gefüllt war. Bunt gemischt vom Raver im „Wasted Magdeburg Youth“ T-Shirt über normale Discogänger und Möchtegern-Schickeria bis hin zu den Resten eines Abiballs in Abendgarderobe. Alle mit einem Ziel: Spaß haben und eine Drauf machen. Leider ist es so, dass jeder der Gruppen darunter etwas anderes versteht und leicht unterschiedliche Musikgeschmäcker hat.

Mit den in den Sphären des Minimals verorteten DJ-Sets wurde leider nicht der Nerv der Mehrheit getroffen. Zu speziell, zu monoton, nicht massenkompatibel und kaum Akzente der einzelnen DJs. Dementsprechend war auch die Stimmung. Ausgelassen sieht anders aus und hört sich anders an. Klar, direkt vorm Pult bewegten sich die Körper, aber weiter hinten war Rumstehen angesagter. Einerseits mag dies am Publikum gelegen haben, aber andrerseits möchte ich dieses nicht als einziges Argument gelten lassen. In meinen Augen ist es auch Aufgabe eines guten DJs mit der Musik auf das Publikum einzugehen und dieses zu animieren. Immerhin hat ein Großteil der Gäste nicht gerade wenig Eintritt bezahlt (viele kamen erst nach 21:00 Uhr). Das bedeutet nicht, dass man deswegen auf Charts oder „Knallrotes Gummiboot“ umsatteln soll. Vielleicht hätte schon eine ein wenig euphorischere elektronische Musikauswahl kleine Wunder bewirkt. Das Standardprogramm vermochte es offensichtlich nicht.

Dementsprechend fällt mein Fazit auch etwas zwiegespalten aus. Einerseits war die Lokation und das drum herum phänomenal und ich fühlte mich zeitweise richtig gut unterhalten, andererseits sah ich eine desinteressierte, gelangweilt wirkende Menschenmasse.

Fotos vom Zeitfixierer:

Lineup:
Buehne
10:00 - 11:30 MICHA MISCHER
11:30 - 13:00 JOHANNES FRÖHLICH
13:00 - 14:00 STEFFEN FELSCHER
14:00 - 15:00 THOMAS WINKLER
15:00 - 16:00 LORENZ KRAACH
16:00 - 17:00 TACMAN
17:00 - 18:00 DAVIS & MAY
18:00 - 19:00 CHESZICA
19:00 - 20:00 COLETONE
20:00 - 22:00 MORRIS & PLASTIKSOUL
22:00 - 00:00 DUENSCH & REINSCH
00:00 - 01:00 MATTHIAS HELBING
01:00 - 02:00 ALEX SCHUSTER
02:00 - 03:00 COCO
03:00 - 04:00 THE MONY
04:00 - 05:00 PISTOLE
ab 05:00 Folgeerscheinung im Deep

Gewoelbe
11:00 - 12:00 MINDTRAP
12:00 - 13:00 RENÉ HAMEL
13:00 - 14:00 BUSCH
14:00 - 15:00 MEKY
15:00 - 16:00 MACHETE
16:00 - 17:00 ATZE..TONE
17:00 - 18:00 JOHANNES V. NOETEN
18:00 - 19:00 RENÉ WETZEL
19:00 - 20:00 NASCA
20:00 - 21:00 HAGEN MOLDENHAUER
21:00 - 22:00 OETTINGER
ab 22 Uhr Prinzzclub Floor mit Dj Wakko & Ember Dee


Anmerkung (August 2011):
Als der Bericht damals veröffentlicht wurde, löste er aufgrund der ungewöhnlich harschen Kritik und einiger Missverständnisse eine kleine Kontroverse aus. Bei Mitbewerbern des Veranstalters herrschte eine (unbegründete) Schadenfreude, der Veranstalter selbst war freilich enttäuscht. Eine ungünstige, interpretationswürdige Formulierung meinerseits und ein Stein des Anstoßes, soll im Nachgang hier (wie damals persönlich) näher erläutert werden:

„Mit den in den Sphären des Minimals verorteten DJ-Sets wurde leider nicht der Nerv der Mehrheit getroffen. Zu speziell, zu monoton, nicht massenkompatibel und kaum Akzente der einzelnen DJs.“

Einige verstanden darunter eine Generalkritik an den technischen Fähigkeiten der DJs des Klub Elektrik. Das war so nicht gemeint, das traf so auch nicht zu. Ich wollte damit ausdrücken, dass der dargebotene Musikstil (die Nachwehen der Minimal-Techno-Phase) nicht mit dem Geschmack des überwiegend anwesenden Publikums in Einklang zu bringen war. „Keine Akzente“ bezog sich darauf, dass die DJs ihrer damaligen Linie treu blieben und nicht den Stil (z.B. zu treibenderen Techno oder House) gewechselt haben. Dazu muss erwähnt sein, dass ich die durchaus streitbare Meinung vertrete, dass DJs vordergründig Dienstleister und danach eventuell so etwas Ähnliches wie Künstler sind. DJ bedeutet für mich Dienst am Publikum. Es geht darum die anwesenden Leute zu unterhalten und nicht der Mehrheit zu beweisen, dass sie keinen Spaß mit der Lieblingsmusik des DJs haben. Freilich im Rahem ich verlange von keinem Techno-Dj, dass er auf Rockmusik oder „knallrotes Gummiboot“ umschwenkt. Wie gesagt, das kann man auch anders sehen.

Der Blick für das überwiegend anwesende Publikum hat meiner Meinung nach an diesem Abend gefehlt. Daraus mach e ich auch keinen Hehl. Über die Strategie bei solchen Massenveranstaltungen lässt sich freilich lang und breit diskutieren. Fährt man seine Schiene um die Fanbase zu befriedigen und enttäuscht das breite Publikum oder bedient man den größtmöglichen Teil des Publikums, versucht es ideenreich zu animieren und enttäuscht die Fans? Keine leichte Entscheidung. Besonders nicht für den Klub Elektrik, der damals in Magdeburg für den Sound stand und sich in größerer Runde präsentieren wollte.

Wie man heute sieht, gibt es den Klub Elektrik immer noch. Er hat sich stetig weiterentwickelt ohne sich dabei zu verraten. Einige der DJs von damals spielen mittlerweile regelmäßig auswärts der Stadtmauern im gesamten Bundesgebiet. Diejenigen, die damals am lautesten von Zensur schrien, sich schadenfroh amüsierten und alles besser gemacht hätten, habe übrigens schon eine Weile nichts mehr von sich hören lassen.


*Die zur Illustration verwendeten Bilder wurden freundlicherweise vom Zeitfixierer bereitgestellt.

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