Johannes Heil und Spielmann Musik Showcase
Magdeburg versinkt im Strudel der Dokusoaps. Erst werden die Bewohner und Gäste der Elbestadt über Wochen beim Würstchenessen beobachtet, nun scheinen Schwarzfahrer ins Visier der Objektive geraten zu sein. Drei Haltestellen vor der Alten Diamant Brauerei stürmten Kontrolleure und kräftig gebaute Sicherheitsleute sowie ein Kamerateam die Straßenbahn. „Fahrscheine bitte!“ Flucht unmöglich, für mich unnötig. Weiter vorn hatte es jemanden erwischt. Handzeichen, Kamera und Mikro in Position, dann der obligatorische Text: „Bitte schön in die Kamera gucken. Warum machen sie das?“ Die zunächst sichtlich verunsicherte junge Frau, schaute verlegen, richtete ihre Frisur und begann dann ohne Scham zu plaudern. Von Reue war nichts zu sehen oder zu hören. „Endlich im Fernsehen, da haben sich ja die 40 Euro Strafe gelohnt“, hatte sie vielleicht gedacht. Eine verrückte Welt. Da Lob ich mir doch die Flucht in die noch Heile Welt des Technos.
Dort ist die Erschleichung von Dienstleistungen nur Online möglich. Aber warum über illegale Downloads ärgern, wenn man sie auch legalisieren kann? Diesen Weg hat René Hamel mit seinem kürzlich ins Leben gerufenen Netlabel Spielmann Musik eingeschlagen. Freie Musik für freie Geister und volle Tanzflächen. Die clubtauglichkeit von Netaudio stellten die Spielmänner während ihres Spezial Showcase im kleinen Floor der Alten Diamant Brauerei mehrfach unter Beweis. Musik zählt, nicht der Vertriebsweg und so wurden die digitalen Schätze aus dem Netz ausdrucksstark mit Vinyl und kostenpflichtigen Files kombiniert. Als Einstand gab es aber erst einmal Livemusik von Snejplock.
Wer seinen Remix von CK twos „Mampfred Trog Auf Haxe“ (Digital Instant Feed / SPM01) kennt, weiß wohin die Reise ging. Für alle anderen: Reduziert, treibend, floorzugewandt – am besten auf http://spielmann-musik.de downloaden und anhören. Das vermittelt auch gleich den Eindruck von zwei anderen der Spielmannartists. René Hamel, der auf flächigen bis knartzigen Minimal abfährt, sowie Blood & Tears, welcher für treibenden Techno bekannt ist. Zur Hauptzeit zeigte sich der Berliner Produzent und DJ Sven Laux von seiner besten Seite. Auch er ist in der Netlabelwelt kein unbeschriebenes Blatt. Unter anderem Labels wie Tropic, Insectorama, Tisch oder Spontanmusik schmücken seine beachtliche Discographie. Aber nicht nur im Studio ist er ein Meister sondern auch hinter den Decks. Mit einer imposanten Mischung aus Minimal, House und sanftem Techno versetzte er den bis zur Kapazitätsgrenze gefüllten Floor ins kollektive Schwingen. Euphorischen Jubel und verzückte Gesichter gab es oben auf.
Während im Spielmann Musik Showcase eine bunte elektronische Stilmischung geboten wurde, schlug im Mainfloor pumpender Technobeat. Das Warmup übernahm Resident Sebastian Recklebe, der sich relativ zeitig über eine gut gefüllte Tanzfläche freuen konnte. Ja, die Magdeburger gehen jetzt früher aus. Oder waren es die vielen Auswärtigen, wie es die Nummernschilder auf dem Parkplatz offenbarten? Magdeburg überrascht! Der Slogan des Stadtmarketing Vereins trifft auch auf die Technoszene zu und das hat sich mittlerweile weit herumgesprochen, auch ohne Kamerateams und Dokusoaps. Keine voyeuristische Effekthascherei sondern harte Arbeit, Ideenreichtum und hohe Qualitätsstandards seitens der Magdeburger Veranstalter, Crews, LiveActs und DJs haben die Jugendkultur der Landeshauptstadt nachhaltig beeinflusst. Complex leistete in Bezug auf hochkarätige Lineups Pionierarbeit, etablierte die Alte Diamant Brauerei im Ausgehkosmos und sprengte letztendlich die Stadtmauern. Die Klub Elektrik Gemeinschaft erklärte parallel dazu die gesamte Innenstadt zum Domizil und Schuf mit Freude und Freunden lokale DJ Größen.
Einer davon ist Markus. Hinter dem Pult eher bekannt als The Mony. Er gab in dieser Nacht ein Gastspiel in den ehrwürdigen Brauereigemäuern, setzte damit ein Zeichen und bewies mit einem herausragenden Set, dass er auch die Sprache des drückenden Technos beherrscht. Nach eigenen Angaben hat er es sehr genossen einmal etwas härter zu spielen und er hätte sich hinterm Pult in Trance getanzt. Sichtbar und akustisch wahrnehmbar sprang die euphorische Erregung auch auf das Publikum über. Herausragend! Cut, verdienter Applaus und klatschender Willkommensgruß an den aus Hessen kommenden Headliner.
Johannes Heil hat sich durch seine zahlreichen Produktionen mit Clubhitcharakter einen Namen gemacht, der fast für sich selbst spricht. In den späten 90er führte auf den Technofloors fast kein Weg an ihm vorbei. Aus seiner Feder stammen Gassenhauer wie Sven Väths „Dein Schweiß“ oder „Paranoid Dancer“. Auch heute noch versteht er es das Publikum in Bewegung zu versetzen. Satte Bässe, die eine Gänsehaut verursachen, treffen auf verspulte Überbauten. Alles zusammen effektreich arrangiert und dem Zeitgeist gerecht. Stilsicher spielte er mit schwarzem Hut und Ableton live sein Set ab und drehte emsig an den Reglern seiner Controller. Gegen halb fünf in Sommerzeit gerechnet, übergab er den Reigen an die Twinpitchers.
Die Zwillingsbrüder entwickeln sich langsam zum Magdeburger Exportschlager. Kürzlich verwöhnten sie bei der Recombination die Ohren und Tanzbeine der Hauptstädter, plauderten im Lineup-Interview über ihre musikalische Herangehensweise und veröffentlichten zusammen mit DJ Deph auf dem BRB-Allstars Sampler (combined blast / BRB-Allstars Vol.7) ihren ersten Track. Um die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters voll ausschöpfen zu können, setzten die beiden schon einige Zeit auf Laptopunterstützung. Etwas hinterhältig zeigte dieser kurz vor dem Auftritt, wer der Herr im Ring ist und gönnte sich kurzerhand eine Verschnaufpause. Die Twins kamen ordentlich in Schwitzen, ein paar Neustartversuche später war wieder alles im Lot und die Schweißperlen wurden über die nun flüssig laufenden Files an die Tanzenden weitergegeben.
Den Abschluss der Nacht bestritten die Brandenburger Klangkontrolle und Rodscha Stein. Back to Back mobilisierten sie die letzten Energiereserven des immer noch zahlreich anwesenden Publikums. Wie lang sie durchhielten, kann ich nicht berichten. Gegen sieben Uhr Winterzeit machte ich mich erschöpft und glücklich eine ausschweifende Nacht erlebt zu haben auf den Heimweg. Dieses Mal ordentlich von den Sicherheitskameras der Straßenbahn dokumentiert.
Lineup:
Sebastian Recklebe
The Mony
Johannes Heil „live“
Twinpitchers
Klangkontrolle vs. Rodscha Stein
Snejplock live
René Hamel
Sven Laux
Blood & Tears
Morkl & Toffee
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