Dienstag, 30. August 2011

Recombination 2008 - Arena Berlin (20.09.08)


Recombination 2008

Am 20. September, nach einer dreijährigen Auszeit, meldete sich die Recombination im Berliner Nachtleben zurück. Recombination das heißt: Großrave mit allerlei Raffinessen und vor allem auf der Höhe der Zeit angesiedelte, anspruchsvolle, elektronische Tanzmusik. Das Lineup zeugte von einem gewissen Understatement der Ausgewogenheit. Kein Überact, der schon allein durch seinen Namen alle anderen in den Schatten stellen würde. Niemand, der sein Handwerk – sei es als DJ oder Musiker – nicht virtuos beherrschen würde.


Ort des Geschehens war der geschichtsträchtige Gebäudekomplex um die Arena Berlin. Die 1927 als Omnibushalle der Berliner Verkehrsbetriebe errichtete und 1995 zum Kulturzentrum umgebaute Arena diente als Mainfloor. Allerdings nicht in ihrer vollen Pracht. Die 7000qm große Fläche (bildlich Platz für 240 Busse) wurde mit Hilfe schwarzer Vorhänge um etwa ein Drittel verkleinert und in zwei Bereiche geteilt. Der vordere Teil beherbergte eine große Theke, einen Promotionstand einer bekannten Zigarettenmarke und dazwischen eine Menge Freiraum, der leider eine gewisse Tristesse versprühte. Diese mehreren hundert Quadratmeter, welche weder mit Dekoelementen, Lichtinstallationen oder bequemen Sitzmöglichkeiten aufgelockert wurden, luden nicht wirklich zum Verweilen ein und können getrost als einsame, kühle Betonödnis in der sonst ansprechenden Lokation gebrandmarkt werden. Anders der daneben liegende Dancefloor. Links und Rechts durch jeweils zwei Sitztribühnen abgegrenzt, von druckvollen Lautsprechern umrahmt und vorn von einer riesigen Videoleinwand dominiert. Davor die Bühne und das vorgelagerte, halbrunde, erhöhte DJ-Pult. Abgerundet durch ein stimmiges und der Größe der Tanzfläche angepasstes Lichtkonzept aus farbigen Spots an den Seiten und einer Panel-Armada in der Mitte.

Den musikalischen Einstieg in der Arena gab Lawrence aka Sten. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich der Hamburger DJ, Produzent und Betreiber des Labels dial, Peter Kersten. Lawrence steht für melancholischen und dichten House, Sten für Peters Hang zu minimaleren, schrofferen Soundstrukturen. Bei der Recombination waren anscheinend beide Seelen vereint. Von ruhig-nachdenklich bis hin zu belebend-treibend, immer die noch junge Nacht und die zwar zahlmäßig wenigen aber euphorischen Zuhörer im Fokus. Fragenden gab er bereitwillig Auskunft über die soeben gespielten Platten, hielt freudig Cover in die Höhe und wendete sich dann postwendend den Turntabels zu, um den soeben hochgereckten Schatz akustisch wirken zu lassen. Zur Geisterstunde erfolgte der erste Wechsel an den Decks. Ben Klock übernahm die Verantwortung und präsentierte deepen vorwärtstreibenden Techno.

Gegen halb eins begann The Earth im Foyer des Glashauses seine 30-minütige Live-Performance. Der zweite Floor der Recombination hatte einen gewissen Charme von Improvisation ohne dabei Qualität zu vernachlässigen. Eine Bar, ein langes Sofa, Tanzfläche, Bühne, dezenter Lichteinsatz und eine druckvolle Anlage. So drückend, dass die aus vielen kleinen Fensterscheiben bestehende Glaswand zum angrenzenden Theatersaal im Takt mit vibrierte. Die Scheiben ordentlich schwingen zu lassen, verstand The Earth. Sein mit pumpenden Flächen angereichertes, etwas experimentell anmutendes Set ging gut nach vorn und in die anwesenden Beine. Leider war die halbe Stunde zu schnell vorbei. Trost boten Martini Brös (Mike Vamp und DJ Clé), die den Reigen mit einem erheiternden Set, welches durch verspielte Vokalpassagen glänzte, weiterführten. Eigentlich ein Grund im Glashaus zu bleiben. Allerdings lockt nebenan im Arena-Club die Neugierde auf eine andere Persönlichkeit: Jake the Rapper.

Der aus den USA nach Hamburg emigrierte Musiker und bildende Künstler mag so gar nicht in gängige Technoklischees passen. Die Tätowierungen, der lange Vollbart und seine bärengleiche Statur erinnern eher an harten Rock, Whiskey und Harleys als an Rum-Cola und Minimal Techno. Diesem verleiht er seine ganz spezielle Note. Warme Bässe, südamerikanische Rhythmen und Vokals lassen eine äußerst sanfte Seele hinter der harten, etwas durchgedreht erscheinenden Fassade erkennen. Passende Musik für den ebenso warm anmutenden gemütlichen Club. Dieser war vermutlich ein ehemaliges Pumpwerk, zumindest wenn man den Aufschriften, der noch vorhandenen Maschinen in dem verwinkelten Backsteinbau glauben mag. Unten eine kleine Tanzfläche und ein paar Ruhezonen, oben Emporen von denen ein entspanntes Schauen auf das bunte Treiben möglich ist. Hier lässt es sich aushalten. Wäre da nicht die innere Gier noch mehr sehen und hören zu wollen.

Definitiv eines der Recombination-Highlights war der Auftritt von Schulz und Söhne, die mit ihrem Live-Percussion-Techno nicht nur die Tanzbeine der Gäste im Glashaus in helle Aufregung versetzten, sondern auch für staunende Blicke sorgten. Immerhin waren die Instrumente andere, als bei gewöhnlichen Bands. Metallrohre, Kanister, Stahlgitter sowie allerlei abstruse Gegenstände wurden von drei Trommlern malträtiert und die erzeugten Töne vom Viertem im Bunde mit analogen Klangerzeugern vereint. Wer in dem Quartett Schulz ist und wer die Söhne sind, wissen selbst die Bandmitglieder nicht so genau. Fakt ist, dass hinter dem Projekt gestandene Musiker stehen, deren Wirkungskreis sich unter anderem von AudioZooBerlin über 2Raumwohnung und Hypercussion bis hin zu den Berliner Philharmonikern erstreckt. Erfahrung, die man hörte. Das Konzert hatte einen epischen Aufbau. Leicht anschwellende Euphorie, die sich bis hin zur Ekstase steigerte. Hochleistungssport an den Percussions und man fragte sich, wie viel Energie sie wohl bei dem Auftritt verbrennen würden. Oder man dachte wehmütig an seine Kindheit zurück, als man mit Kochlöffel bewaffnet, Mutters guten Emailletopf als Instrument missbrauchte und deshalb eine Woche zum Abtrocknen eingeteilt wurde. Wie lange müssten da erst die Jungs den Abwasch versorgen? Trommelwirbel. Jubelschreie. Zugaberufe der Unersättlichen. Stattgegeben! Weitere zehn Minuten Wahnsinn. Danach hatte nicht nur die Band eine Pause nötig.

Entspannung gab es im Außenbereich des Areals. Der Sandstrand am Badeschiff bot beste Chilloutmöglichkeit mit housigen Klängen, Kaffee und Spreeblick. Anschließend hinein in die Arena zu Nôze. Die beiden chaotischen Franzosen präsentierten ihren ganz eigenen humorvollen Blick auf elektronische Musik. Da werden auch gern mal Chansons mit satten Electrolines kombiniert oder die Vorliebe vieler Berliner zu Minimaltechno auf die Schippe genommen. Dass die Beiden während ihrer Auftritte gern ins Glas schauen, schien auch bis zu Jake the Rapper vorgedrungen zu sein. Er gesellte sich während der Show zum Anstoßen dazu und verkostete den bereitgestellten Weißwein gleich mal aus der Flasche. Die zwei Pariser verbreiteten derweil nicht minder nüchtern elektronische Volksfeststimmung. Die Lieder mehr geschrien als gesungen, die Oberkörper frei, besoffene Umarmungen, Jazz, Polka, gezielte Rückkopplungen und Keyboardsolos. Wahnsinn aus dem Nôze-Universum für die Tanzfläche, der dankend angenommen wurde. Am Ende kurzer, etwas verhaltener Applaus.

Der Uhrzeiger hat schon eine Weile die Sechs passiert und fast drei Stunden Heimweg sind nicht zu unterschätzen. Auch wenn es bei den noch anstehenden Acts etwas schmerzte zog ich einen Strich unter die Nacht. Bilanz: Genug erlebt, besser kann es nicht mehr werden - nur noch genauso gut. Verdammt wäre ich doch noch geblieben…

Lineup:
live
Nôze [get physical / trapez / paris]
Andomat 3000 [cadenza / 9volt / erfurt]
Tractile [m_nus / ontario]
Metope [areal / berlin]
Schulz & Soehne [berlin]
The Earth [universe]

dj
André Galluzzi [cocoon / berghain / berlin]
Paco Osuna [plus 8 / mindshake / barcelona]
Lexy [music is music / spagat / berlin]
Ben Klock (bpitch control / berghain / berlin]
Pan Pot [mobilee / berlin]
Märtini Brös [pokerflat / berlin]
Mia [substatic / trapez / berlin]
Jake the Rapper [combination rec / hamburg]
Lawrence aka Sten [dial rec / hamburg]
Marcus Meinhardt [upon you rec / berlin]
Twinpitchers [diamantbrauerei / magdeburg]
Kollektiv Ost [schafe auf der wiese / berlin]
Tweek [schafe auf der wiese / mitte music / berlin]
Deph [recombination / berlin]
Cosh [tanzzrausch / potsdam]
Base [brandenburg allstars]
Nathan & Ndrew [resident / berlin]

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