Montag, 29. August 2011

neu.tronix Geburtstag - P7 Magdeburg (11.01.08)


neu.tronix Geburtstag

Seit mittlerweile einem Jahr sorgt Johannes von Nöten mit „neu.tronix“ jeden zweiten und vierten Freitag im Monat im Magdeburger Studentenklub P7 für die Tanzbeine der Liebhaber elektronischer Clubmusik. Die Beschreibung der Partyreihe mit „glowstickelektroshockwavedisco“ lässt weit Blicken. Abwechslung steht im Vordergrund. Damit dies auch gelingt, wird er dabei tatkräftig von lokalen und regionalen Klanggestaltern unterstützt. Zum Jubiläum sollte Magdeburg etwas Außergewöhnliches geboten werden. Was mit der Verpflichtung des kanadischen Liveacts „frivolous“ mehr als gelang. Seine Performance sollte nicht die einzige Besonderheit des Abends werden: In Erwartung vieler Gratulanten zog „neu.tronix“ vom Keller nach oben in den geräumigeren Konzertsaal um.



Ab Elf wurden die Pforten geöffnet und das weit in beide Richtungen. Denn – Nichtraucherschutzgesetz sei Dank – ist der Konsum von Tabakinhalat im gesamten Gebäude neuerdings untersagt. Ein Novum auch für sachsen-anhaltische Verhältnisse und für viele der Besucher wohl die erste rauchfreie Party überhaupt. Grund genug nicht nur die Reaktion der Gäste auf die Musik, sondern auch auf das Rauchverbot etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Freilich war es dafür um kurz nach Elf viel zu zeitig.

Florian Stützer hatte gerade den musikalischen Prolog übernommen und die Zahl der Gäste war noch recht überschaubar. Einzig Teile der Technikcrew standen im Floor vor der großen Bühne und forschten nach der Ursache des miserablen Sounds. Die Bässe klangen unsauber und verursachten starke Resonanzen. So stark, dass die Halterungen der roten Vorhänge, welche dekorativ die Glasfronten der zwei Außenwände versteckten, sirrend antworteten. Furchteinflößende Hi-Hats. Fehlersuche. Florian musste sein DJ-Set unterbrechen. Kabel wurden ausgetauscht. Jemand fuhr mit seiner Hand über den Mixer zwischen den Plattenspielern. Knistern. Ein tolles Effektgerät, wenn man ihn nur für diesen Zweck gebraucht hätte. Geflüster. Der schon anwesende frivolous murmelte etwas von „ground“, ein anderer stimmte zu: „Masse“. Schlussendlich einigte man sich auf den deutschen Terminus „Erdung“. Völkerverständigung bei neu.tronix.

Kurze Zeit später war das Problem behoben und Florian setzte seinen Mix fort. Irgendwie schien ihn die vorherige Situation etwas irritiert zu haben. Erst nach einer Weile fand er wieder in den alten Fluss zurück. Der Floor füllte sich derweil nur sehr schleppend. Eine Folge des Rauchverbots? Es schien als ob sich die Genussmenschen vornehmlich an der Bar und „Draußen vor der Tür“ aufhalten würden.

Gegen Eins erfolgte der fliegende Wechsel zu frivolous. Unerwartet und dezent streute er mit Hilfe seines roten Telefons verzerrte Vokals in Florians Set ein. Eine Weile spielten sie zusammen. Die tanzende – aber leider immer noch überschaubare –Crowd war sichtlich begeistert. „Was ist das für ein Typ am Telefonhörer, der mit uns so sonderbar kommuniziert?“

Nur gewisse Gattungen von Mensch haben rote Telefonhörer. Kinder – sie sind verspielt und achten nicht auf Konventionen markttechnisch generierter Schönheitsideale von Wohnungseinrichtungsgegenständen. Und außergewöhnlich wichtige Leute die etwas bewegen, wie etwa US-Präsidenten in Hollywoodfilmen, die damit über Gedeih und Verderben der ganzen Welt bestimmen können.

Der kanadische Produzent und Entertainer Daniel Gardner alias frivolous ist ein Mischung aus beidem. Auf einer Farm nahe Vancouver in behüteten Verhältnissen und mit klassischer Musikerziehung aufgewachsen, durch „blue grass music“ geprägt sowie von House und Techno amerikanischer Gangart sozialisiert, entwickelte er ein ganz eigenes Blickfeld auf Soundstrukturen. Genregrenzen sind ihm fremd. Seine Musik bezeichnet er selbst als „DIY electronic music“. Angelehnt am „Do-it-Yourself-Gedanken“ betreibt er auf unkonventionelle Weise Klangforschung und lässt die Ergebnisse in seine Produktionen einfließen: „Instead of arpeggiating a distorted 303 synthesizer for a dirty effect, why not arpeggiate the sound of our cat "Motown" scraping in the litter-box? -pretty dirty, no?“ Momentan arbeitet Daniel an der Fertigstellung drei neuer 12´´. Bleibt zu hoffen, dass es der Katze gut geht.

So extravagant seine Produktionsweise, so einzigartig ist auch seine Show. Die Entertainerqualitäten schulte er übrigens als Clown auf Kinderfesten in seiner Heimatstadt. Vielleicht auch daher sein Künstlername. Frivolous: „Nicht immer alles so ernst nehmen.“ Neben dem Equipment steht stets ein Strauß Rosen auf dem Tisch, als Effektgerät benutzt er ein modifiziertes Küchenmesser, auf die Rückseite seines Laptops hat er einen antik wirkenden Bilderrahmen geklebt und die Vokals schleust er eben mit dem roten Telefonhörer ins System. Wozu Konventionen, warum nicht anders sein?

Musik aus. Kurze Ansprache und los. Plötzlich strömten die Leute vom Barbereich und Raucherexil in den Floor. Offensichtlich wollte keiner den Headliner verpassen. Dieser eröffnete den Spannungsbogen gediegen und zog allmählich die Emotionen in seinen Bann. Es folgten fast zwei Stunden des Schwingens, Tanzens und Staunens. Die weite musikalische Bandbreite zwischen House, Minimal, Folk, Jazz und Cowboymusik -im Fachchinesisch würde man das wohl Dekontextualisierung nennen – war gut arrangiert, mitreißend und stets mit einer Prise Humor versehen. Dazu der hohe Entertainmentfaktor. Den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt, mit der linken Hand Keyboard bedienend und mit einem Küchenmesser in der rechten Hand luftlöcherstechend – live - Musik produzierend: Das ist frivolous! Ebenso spektakulär wie die Show war auch sein Abgang. Plötzlich stellte er die Geräte aus und rannte in den Backstagebereich. Das Publikum dankte mit tosendem Applaus.

Den nachfolgenden Act traf dies allerdings etwas unerwartet. Dementsprechend dauerte es einige Minuten, ehe der Reigen mit Johannes von Nöten weiter gehen konnte. Die Tabakkonsumenten nutzten derweil die Gelegenheit, um ihre Sucht zu befriedigen. So schnell wie frivolous die Bühne verließ, so fluchtartig verließen weit über die Hälfte der Gäste den Klub. Neuer Treffpunkt war „Draußen vor der Tür“. Arme Anwohner im Studentenwohnheim 7des Unicampus. Die Stimmung im Floor war damit freilich dahin. Johannes musste quasi von Neuen um die Gunst der Zuhörer spielen und das zur Primetime - kurz vor um drei. Als dann allmählich die Raucher zurückfanden und sich der Floor wieder auf ein angenehmes Niveau füllte, stieg die Stimmungslage langsam wieder an. Nach einer halben Stunde dann die Überraschung. Frivolous betrat erneut die Bühne und gab eine halbstündige Zugabe.

Gegen vier übernahm der Klubelektriker Reinsch die musikalische Verantwortung. Der Sound wurde reduzierter. Das deep verfrickelte Technoset mit Tendenz zum Minimal zog mich bis etwas nach fünf komplett in seinen Bann. Ausgelassen tanzend verschoss ich meine letzten Energiereserven, um dann glücklich den Heimweg anzutreten.

Fazit: Definitiv eine würdige Geburtstagsveranstaltung, die vielen sicher noch eine Weile im Gedächtnis haften bleibt. Frivolous hat mich sehr überzeugt und definitiv meine Messlatte, was den Anspruch an Liveacts angeht, ein Stück weit erhöht. Ich danke für die wundervolle Nacht.

Mit etwas gemischten Gefühlen betrachte ich das Rauchverbot. Die bessere Luft im Floor war definitiv ein Gewinn für die Kondition und die Gesundheit. Allerdings habe ich das Gefühl, dass dadurch der Vibe zerstört wird. Dies war besonders am Ende von Frivolous Live-act zu spüren. Wenn plötzlich die Hälfte der Gäste nach dem Headliner den Floor verlässt ist die Stimmung (erstmal) dahin. Es bleibt weiter zu beobachten, wie sich das Ganze entwickelt. Gerade weniger gut besuchte Veranstaltungen oder kleine Clubs dürften deshalb enorme Schwierigkeiten bekommen. Zu einem erfolgreichen Rave gehört stundenlanges ekstatisches Tanzen und das gehört zumindest für Raucher der Vergangenheit an.

PS.: Gruß an alle, mit denen ich wieder Mal viel zu wenig erzählt habe. Ich versuch mich ja immer zu bessern…


Lineup:
Frivolous (~scape/Karloff)
Reinsch (Duensch & Reinsch / Klubelektrik)
Florian Stützer
Johannes von Nöten

Links:
http://www.myspace.com/frivolouslive (nette Videos von seinen Gigs)
http://www.myspace.com/meaintjustme (Johannes von Nöten)


*Die zur Illustration verwendeten Bilder wurden freundlicherweise vom Zeitfixierer bereitgestellt.

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